(c) Marcella Ruiz Cruz
(c) Marcella Ruiz Cruz

Eine kleine Bühne, ein furioses Schauspielerinnen-Trio, eine berührende Inszenierung: Thomas Perles „karpatenflecken“ im Vestibül des Burgtheaters

(14. Mai 2023)

 

niemand spricht warum die häuser leer. darüber hat das volk zu schweigen in der rumänischen volksrepublik.“ (aus „karpatenflecken“)

 

Es sind zwei Sätze, welche in aller Kürze eine Zusammenfassung von Auswanderung der Rumänen-Deutschen bilden könnten. Oder aber von Flucht und Antisemitismus? Dies sind nur einige der Themen, die Thomas Perle in seinem Stück „karpatenflecken“ aufgreift. 1987 in Rumänien geboren, emigrierte der Autor 1991 mit seiner Familie nach Deutschland. Regelmäßig reiste er in seinen Geburtsort Oberwischau nach Nordrumänien zurück. Seit 2008 lebt er in Wien, wo er sein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften abgeschlossen hat. Kein Wunder, dass Thomas Perle sich von Anfang an in seinen Theaterstücken mit Anpassung und Brüchen, Identität und Heimat auseinandergesetzt hat. Und immer wieder blickt der Autor auf Rumäniens Vergangenheit zurück, packt spannende autobiografische Geschichten aus und erzeugt dabei ganz exklusive Schicksalspanoramen (so auch in „wir gingen weil alle gingen“, sein Prosadebüt, 2018 erschienen bei edition exil: http://www.aurora-magazin.at/medien_kultur/wolf_perle_frm.htm).

 

Mehrfach wegen Corona verschoben, hat es „karpatenflecken“, sein 2019 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnetes Stück, nun endlich zur österreichischen Premiere geschafft, nachdem es Ende 2021 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt wurde. Drei Frauen aus drei Generationen – Großmutter, Mutter, Tochter – kommen in „karpatenflecken“ vor. Über 250 Jahre erstreckt sich ihre Familiengeschichte: Von der Besiedlung Nordrumäniens durch Wischaudeutsche aus der Steiermark durch Maria Theresia und deren Zwangsmagyarisierung bis hin zum Ende der kommunistischen Diktatur unter Ceauşescu und einem Neuanfang in Westeuropa. Beim Erzählen geht Thomas Perle bewusst nicht chronologisch vor, sondern springt mehrfach zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her. Bereichert wird das Ganze durch die wunderbare Welt der Sprachenvielfalt. Denn in der Familie werden drei Sprachen gesprochen: Rumänisch, Ungarisch und Zipserisch – ein altösterreichischer Dialekt. Das passt wiederum zum Autor, der ebenfalls mehrsprachig aufgewachsen ist.

 

Noch dazu ist Perles Sprachverwendung außergewöhnlich: Da fehlen immer ein paar Worte, ganze Sätze gibt es nie. Und genau diese verknappte, dichte Ausdrucksweise kommt auf der kleinen Bühne im Vestibül des Burgtheaters sehr gut zur Geltung. Moritz Müller schuf ein reduziertes Bühnenbild: In einem von drei Seiten schwarz umrandeten Raum reichen drei Stühle und ein Diaprojektor aus, um die am Anfang erwähnten leeren Häuser und das Schicksal der Vertriebenen darzustellen. Die Familiengeschichte lässt sich problemlos durch das Abreißen der Blätter des ausschließlich mit Jahreszahlen versehenen Wandkalenders rekonstruieren. Regisseurin Mira Stadler schafft es, den Raum geschickt zu nutzen und das meiste aus den wenigen Quadratmetern zu machen. Es ist wahrhaftig wunderbar, wie aus dem Nichts ein Tisch hervorgezaubert wird! Mehr sei hier nicht verraten. Die auf die Rückwand projizierten Dias aus Oberwischau – zum Teil in Schwarz-Weiß – tragen zur Poetik des Abends bei. Darüber hinaus akzentuiert der effektive Einsatz von Licht (Enrico Zych) und Musik (Bernhard Eder) die verschiedenen Sequenzen.

 

Das Schauspielerinnen-Trio spielt überzeugend und authentisch. Vor allem Elisabeth Augustin als „Großmutter“ hat keine leichte Aufgabe, muss sie doch fast ständig Zipserisch sprechen. Die „Tante“ (Stefanie Dvorak), die auch als Mutter auftritt, äußert sich dagegen gelegentlich auf Ungarisch und die „Tochter“ (Lena Kalisch) hat fürs Publikum beides ins Deutsche zu übersetzen. Manchmal bilden die drei einen alpenländischen Chor, der durchwegs fesselt und für ergreifende Momente sorgt. Prolog und Epilog runden die Geschichte stimmungsvoll ab, wenn der Wald und der Berg miteinander reden. Auch wenn alle Siedler weggegangen sind, und obwohl diese den Wald „schlecht behandelt haben“ – ein feiner Hinweis auf die unkontrollierte Baumfällung und die Holzmafia in Rumänien –, geben die zwei in Weiß gekleideten und Sonnenbrille tragenden Gestalten (verkörpert durch Elisabeth Augustin und Stefanie Dvorak) Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Mira Stadlers Inszenierung im Vestibül des Burgtheaters ist ein ebenso kurzweiliger wie berührender Abend.

 

(siehe auch Aurora-Magazin.at vom 13.06.2023)