Freischaffende Künstler: Durchbruch gelungen

 

Oana Cristea-Grigorescu

 

Klausenburg ist eine Stadt in Rumänien, in der zwei Dramen- und ein Puppentheater von einer langen Tradition Zeugnis ablegen. Ein weiteres Theater befindet sich in der nur 30 km entfernten Ortschaft Turda. Die Anzahl der Schauspielpromotionen der Hochschule für Film- und TV-Produktion der Babeș-Bolyai-Universität (des Weiteren FTT genannt) überschreitet bei Weitem die Aufnahmefähigkeit der Theater in Klausenburg und in den benachbarten Landkreisen. So bleibt den meisten jungen Absolventen nichts übrig, als in der unabhängigen Szene zu arbeiten, zumindest als Vorstufe zur Anstellung in einem Repertoiretheater.

 

Km 0

Nach dem Fall des Kommunismus 1989 waren die ersten fünfzehn Jahre von sporadischen kurzlebigen Initiativen geprägt, die das Entstehen unabhängiger Theatergruppen begünstigten. Das unmögliche Theater (Teatrul imposibil) wurde vom Regisseur Cristi Nedea (bekannt unter dem Bühnennamen chris nedeea) als Antwort auf den Erneuerungsbedarf des Repertoires gegründet und darf als Pionier der unabhängigen Klausenburger Szene gelten.

 

Die Gruppe hat den Schauspielern ermöglicht, neue Dramatik, die mit der damaligen Vision des Nationaltheaters nicht in Einklang stand, in Szene zu setzen. Von 2003 bis 2009 hat Das unmögliche Theater Vorstellungen in alternativen Räumen produziert, so zum Beispiel in der UAP (Galerie des Verbandes der bildenden Künstler), im Armeehaus, in Innenhöfen, im Diesel (dem ältesten Klub der Stadt). Inszeniert wurden unter anderem Texte von Martin Cicvak, Victor Haim, Matei Vişniec, Dumitru Crudu, Ştefan Caraman, Aristiţa Albăcan, Marius von Mayenburg und Diana Chioreanu sowie eine Produktion nach Beckett in ungarischer Sprache. Dies war die erste Zusammenarbeit der ungarischen und rumänischen Theater.

 

Das unmögliche Theater hat auch das monatliche Magazin Man.In.Fest herausgegeben. 2006 wurde dieses vom Verein ArtReSearch übernommen, in eine Kulturzeitschrift mit vierteljährlichem Erscheinungsdatum verwandelt und bis 2011 von der Verwaltung des nationalen Kulturfonds (AFCN) finanziert.

 

Gleichzeitig ist die Bibliothek für neue Dramatik gegründet worden. Die fünf Auflagen des internationalen Festivals für experimentelles Theater MAN.In.FEST runden das Profil der Gruppe ab. Das Interesse des Publikums war leider nicht groß genug, um die Behörden davon zu überzeugen, die Festspiele aus öffentlichen Fonds zu unterstützen. Daher wird die Theatergruppe 2005 versteigert. 2009 wechselt Das unmögliche Theater sowohl die Leitung als auch die ästhetische Orientierung, indem es zu Straßentheater und Veranstaltungen im Freien übergeht. In den letzten Jahren hat sich auch das Profil des Festivals geändert. Leider entfernt es sich immer mehr vom Theaterexperiment.

 

Die Festigungsphase

Obwohl das AFCN eine immer geringere Rolle für die Finanzierung spielt, erlebt die unabhängige Szene 2005 eine rasante Entwicklung. Es entstehen kleine Theatergruppen, die über eine eigene Spielstätte verfügen oder auch nicht. Alle widmen sich der neuen Dramatik sowie dem Dokumentartheater, der Performance oder sozial-politischen Themen, die in den traditionellen Theaterhäusern nicht auf Interesse stoßen. Mit der Gründung der Pinselfabrik (Fabrica de pensule) 2009 und der Übersiedlung des Temps d’Images Festivals von Bukarest nach Klausenburg beginnt die Festigungsphase der freischaffenden Künstler.

 

Die Pinselfabrik ist aber nicht aus dem Nichts entstanden. Eine weitere kulturelle Krise ließ die Entwicklung erahnen. Denn ein Mangel an zeitgenössischen Kunstgalerien und die Rückübertragung der UAP-Räumlichkeiten hat die bildenden Künstler den Schauspielern gleichgestellt: Beiden fehlte es an Räumen, seien es Ateliers, Ausstellungsplätze oder Spielstätten. Daher orientierten sich die jungen Absolventen stark an westlichen Modellen: Sie stellten ihre Ressourcen für die gemeinsame Nutzung zur Verfügung und änderten einen stillgelegten industriellen Raum für ihre Zwecke. Mihai Pop, Geschäftsführer der Galerie PlanB, sagte mir 2014 in einem Interview, dass dies der Ausdruck der Hartnäckigkeit einer Generation sei, die nicht auswandern will. Der Zusammenschluss der Künstler in einem Verband zur Gründung der zeitgenössischen Pinselfabrik war eine landesweite Premiere. Es ist das erste gemeinschaftliche Projekt dieser Größenordnung in Rumänien und gleichzeitig eines der maßgebendsten Beispiele der Umwandlung eines industriellen Gebäudes in einen unabhängigen kulturellen Raum, sagen die Gründer auf der Webseite http://fabricadepensule.ro/en/about/.

 

Kern der Fabrik ist die Galerie PlanB. Die ersten internationalen Erfolge bei Kunstmessen (Armury Show NY, 2007) haben der Gruppe Mut gemacht und Mittel zur Verfügung gestellt, um eine stillgelegte, ziemlich zentral gelegene Pinselfabrik zu mieten. Die Ateliers, die Galerien und die zwei Säle (unlängst in RAP – Residenzen, Ateliers, Publikum – umbenannt) lockten im Nu sowohl unabhängige Künstler als auch Unternehmer an, die mittelfristige Programme zur Unterstützung der alternativen Szene vorgeschlagen hatten.

 

Im Bereich der performativen Künste hat sich der Ruf der Fabrik dank dem Temps d’Images Festival konsolidiert. Dieser wurde 2009, nach seiner ersten Ausgabe in Bukarest, nach Klausenburg verlegt. Ich habe mit Miki Branişte, Festivaldirektor und Leiter des Verbands ColectivA, über die Bedeutung der Fabrik sowohl bei ihrer Eröffnung 2009 als auch heute gesprochen:

 

Die Entstehung der Fabrik erwies sich als Notwendigkeit. Es mangelte an Räumen und an Ressourcen für die gemeinsame Nutzung. Die Wirtschaftskrise führte dazu, dass die Preise der Gebäude in der Nähe des Zentrums günstiger wurden. So haben sich mehrere Künstler zusammengelegt, um die Miete für eine stillgelegte Fabrik zu bezahlen.

 

Vieles hat sich seitdem verändert. 2009 schien das Projekt in der damaligen kulturellen rumänischen Landschaft nicht machbar, jedoch hat Klausenburg eine wichtige Rolle in der Umsetzung gespielt. Das Zentrum für zeitgenössische Kunst ist ein gemeinschaftliches Projekt, das aus dem Zusammenschluss der Kunstgruppierungen aus den Branchen der bildenden Künste, des Theaters und des Tanzes entstanden ist. Wir haben es geschafft, einen neuen Spielraum in der ehemaligen Industriezone der Stadt zu öffnen. Damals waren es nur fünf Räume. Heute gibt es sieben Galerien für bildende Künste.

 

Die Entstehung der Fabrik war ein Hauch frischer Luft für alle am Projekt Beteiligten, für das Klausenburger Publikum, für Galeristen und Kulturmanager aus den Nachbarstädten, deren Wunsch für mehr Sichtbarkeit in Klausenburg und nach einer Zusammenarbeit mit der Fabrik nun Realität wurde. Sogar den damaligen Studenten ist damit eine Möglichkeit geboten worden. Sechs Performance Art Verbände waren im Studio und im Kleinen Saal tätig: ColectivA, GroundFloor Group (Kelemen Kinga, Sinko Ferenc), Grupa Mică (unter der Leitung der Regisseurin Mihaela Panainte), Ad Hoc (geleitet von der Regisseurin Adriana Chiruţă),  Verein Arta Capoera (Bogdan Racolţa), Verein Balla und Vajna, die zwei Auflagen des Festivals 4x4 organisierten. Mit Hilfe des AFCN gelang es uns im Voraus zu planen und regelmäßig ein stabiles, breitgefächertes künstlerisches Programm zu bieten.

 

Seit 2012 findet in der Fabrik die Saison Produktionsschiene, eine originelle Alternative zum Programm der Repertoiretheater, statt. Diese umfasst Produktionen der in der Fabrik aktiven Verbände, Inszenierungen von etablierten Künstlern, preisgekrönte Aufführungen und Gastspiele der unabhängigen Szene. Eine weitere wichtige Tendenz wurde von ColectivA und GroundFLoor Group initiiert und machte sich durch die Programme zur Förderung der neuen Dramatik und der jungen Künstler bemerkbar, die in den letzten Jahren von den staatlichen Theatern vorgeschlagen wurden. Die entsprechenden Produktionen sind Bestandteil der Produktionsschiene und des Temps d’Images Festivals.

 

Miki Branişte: 2008 fand die erste Auflage der Festspiele in Bukarest statt. Als das Festival 2009 nach Klausenburg verlegt wurde, waren wir gedanklich weit weg vom heutigen Zustand. Der Bedarf, sich mit der internationalen Szene der Performance Arts zu synchronisieren, existierte schon damals. Dank eines größeren EU-Budgets für das Festival ist es uns gelungen, mehrere wichtige internationale Produktionen einzuladen. Mit zunehmender Wirtschaftskrise wurde der Status des freischaffenden Künstlers immer unsicherer. So fanden wir, dass es besser sei, unsere Unterstützung den rumänischen Künstlern zuzuwenden, weil nur diese zur Entwicklung der unabhängigen Szene beitragen konnten. Seit 2011 wird im Rahmen des Festivals Die Unabhängige Plattform für darstellende Künste organisiert. Seitdem haben wir versucht, die unabhängige Szene als Koproduzenten zu unterstützen, Koproduktionen zwischen den Staatstheatern und unabhängigen Gruppen oder freischaffenden Künstlern zu fördern. Zu unseren größten Erfolgen gehören: Tripple Point (Punct triplu) von Bogdan Georgescu mit dem Staatstheater Târgu Mureş (2014); Schrift in Großbuchstaben (Tipografic majuscul) von Gianina Cărbunariu (2013) mit dem Theater Odeon in Bukarest - bei der wir nur als Partner, nicht als Koproduzenten agiert haben - und das internationale Projekt Parallele Leben (Vieţi paralele) mit Gianina Cărbunariu und DramAcum.

 

Das konsequente Programm und die Förderung von Neuproduktionen führten zur Bildung eines treuen, hauptsächlich jungen Publikums. Während der Zeitspanne von sechs Jahren sind in der Fabrik zwei künstlerische Richtungen entstanden: Das den neuen Texten gewidmete Theater und die Performance in ihren zahlreichen Aufführungsvarianten (visuell, choreographisch, textbasiert), wodurch sich der Status des Regisseurs als Autor eigener Texte in der rumänischen Theaterszene etablierte. Der bisher größte Erfolg der Fabrik ist Parallel, eine Inszenierung von Sinko Ferenc und Leta Popescu, zugleich eine Koproduktion von GroundFloor Group und ColectivA (2014 UNITER Debüt-Preisträger für Lucia Mărneanu und Leta Popescu). Gianina Cărbunarius Verbundenheit mit der Fabrik blickt auf mehrere Produktionen zurück: 2014 als Gastkünstlerin für das Festival Temps d’Images; X mm von Y km, ihre von ColectivA 2011 produzierte Performance sowie durch Aufführungen der Studenten, die sie im Rahmen des Masterprogramms des FTT betreut.

 

Wir haben uns vorgenommen mit der Hochschule für Film- und TV-Produktion zusammenzuarbeiten. So finden einige Kurse, Workshops und Proben in unserer Fabrik statt. Diese Zusammenarbeit freut uns sehr, denn so bleiben wir in Kontakt mit der neuen Generation. Außerdem planen wir die Aufführungen der Bachelor- und Masterstudiengänge in die Produktionsschiene aufzunehmen. Ein Beispiel dafür ist  Ghinga, die Abschlussarbeit des Masterstudiums Regie von Leta Popescu, Valentina Gabor und Andrada Lazăr. Die Produktion hatte schon vier Vorstellungen in dieser Saison und wurde auch zum Festival Temps d’Images 2015 eingeladen. (Miki Braniște)

 

Mit fortschreitender Zeit wurde die Fabrik für Gast- und artists-in-residence-Künstler zugänglich gemacht. Außerdem hat sie die Gründung neuer Spielräume und unabhängiger Gruppen in Klausenburg angespornt.

 

Eine Charakteristik der Fabrik bleibt, Befürworter der experimentellen Kunst und des sozial-politisch engagierten Theaters zu sein. Eine weitere bevorzugte ästhetische Richtung ist die Förderung der choreographischen Performance. Mehrere Bukarester Choreographen haben ihre Produktionen in der Fabrik gezeigt: Mihai Mihalcea/Farid Fairuz, Mihaela Dancs, Mihai Pelmuș. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Nationalen Tanzzentrum in Bukarest (des Weiteren als CNDB erwähnt) wurde 2013 das RAP-Programm (Residenzen, Ateliers, Publikum) gegründet. Dadurch ist die Fabrik heute auch ein Forschungs- und Experimentier-Labor. RAP bietet ausgewählten jungen Künstlern Residenzen für ein paar Tagen bis zu mehreren Wochen.

 

Die Neuankömmlinge und die Theateralternative im öffentlichen Raum

Chronologisch gesehen ist Create.Act.Enjoy die zweite als NGO gegründete Gruppe (2013). Zu ihren Aktivitäten zählen hauptsächlich soziale Projekte, Therapie durch Theater und kreative Workshops. Create.Act.Enjoy besteht aus acht Personen: fünf Schauspielern, einen Theater- und einen Filmregisseur sowie einen Fotograf. Die letzten drei Künstler, die der Gruppe beigetreten sind, gehören zu den Absolventen, die 2015 ihre Promotion feierten. Durch diese Team-Erweiterung wird ein weiterer Schritt in Richtung Festigung der Klausenburger unabhängigen Theaterszene gemacht. Die Aufnahme der Produktion This is my body. Come into my mind 2011 in die Produktionsschiene führte zu einer engen Verbundenheit zwischen Create.Act.Enjoy und der Pinselfabrik. Damals wie heute besteht der Kern der Gruppe aus Diana Buluga, Raluca Lupan, Alexandra Felseghi, Cristian Pascariu und Alin Barbir. Das Verfassen eigener Texte zeugt von ihrem Interesse an Performance.

 

Diana Buluga (Manager der Theatergruppe): Es gab nur ein paar Gelegenheiten, einen bestehenden Text zu inszenieren. Denn meistens schreiben wir unsere eigenen Texte  oder wir passen sie an, wir ändern sie ein bisschen. Die Auswahl der Themen entstammt unseren Gedanken, die uns zu diesem Zeitpunkt beschäftigen. This is my body. Come into my mind ist zum Beispiel eine Produktion über den Frauenstatus, weil wir uns 2011 mit diesem Thema auseinandersetzten.

 

Seit 2013 widmet sich die Gruppe dem Sozial-Theater. Denn für diese Art von Theater gibt es von den lokalen Behörden leichter finanzielle Unterstützung. Des Weiteren wird dadurch auch das Interesse von Create.Act.Enjoy für aktuelle Themen widergespiegelt. Die drei Richtungen der Gruppe sind Performance, Theaterpädagogik (dazu gehören kreative Workshops) und Produktionen für ein atypisches Publikum in unkonventionellen Räumen (wie Antidrogenkampagnen, Therapie durch Kunst, Pantomime, lebende Statuen im Rahmen von privaten Ereignissen mit wenig Publikum).

 

Diana Buluga: Wir sind von der Idee ausgegangen, dass Theater und Kunst überall und fast zu jeder Zeit existieren können. Deshalb hatten wir bis März 2014 keinen Bedarf für eine feste Spielstätte. Wir haben an verschiedenen Orten gespielt, auch weil wir anderthalb Jahre mit This is my body. Come into my mind bei Festivals im In- und Ausland viel unterwegs waren: in Indien, Mazedonien, Piatra Neamț, Iași, Hermannstadt. Erst nachher spürten wir den Bedarf, mehr vor Ort, in Klausenburg, zu arbeiten. So hatten wir eine einjährige Partnerschaft mit dem Café Răgaz (Muße, Anm. d. Ü.). Dort haben wir alle unsere Produktionen gezeigt. Inzwischen ist das Café pleite gegangen. 2014 haben wir dann beschlossen, kreative Workshops zu organisieren und wussten, dass wir eine feste Spielstätte brauchen. Alle unsere Tätigkeiten beziehen sich auf brandaktuelle Themen, auf unsere unmittelbare Umgebung.

 

Uns haben - weit mehr als die Ästhetik -, die Gefühle interessiert, die wir bei den Zuschauern wecken. Daher gab es im Anschluss an jede Aufführung ein Publikumsgespräch. Auch aufgrund der kleinen, unkonventionellen Räumlichkeiten, in denen gespielt wird, ist die Interaktion mit dem Publikum sehr wichtig. Wir wollten erfahren, wie unsere Produktionen vom Publikum aufgenommen werden und haben die Meinung der Zuschauer - bis zu einem gewissen Grad - auch in Betracht gezogen. Es ist wichtig, ein eigenes Publikum heran zu bilden. Wir haben aber einen anderen Weg gewählt: Zuerst haben wir gespielt und dabei die Leute, die unsere Veranstaltungen besuchten, beobachtet. So konnten wir feststellen, dass es sich um Menschen zwischen 25 und 35 Jahren handelt. Auch die Teilnehmer an den kreativen Workshops (Körpersprache, Film, kreatives Schreiben), die wir veranstalten, werden in der Regel von Menschen, die derselben Altersgruppe angehören, besucht. Es handelt sich dabei nicht unbedingt um Studenten.

 

Die Aktivitäten in dreierlei Richtungen hat die Gruppe gezwungen, sich den Bedürfnissen des Publikums anzupassen und verschiedene Konzepte zu bieten. Flashmobs im Freien im Rahmen einer Antidrogenkampagne, Clownerie und Commedia Dell'Arte mit Patienten in Krankenhäusern, Pantomime, lebende Statuen bei privaten Veranstaltungen gehören zur breiten Angebotspalette. Nicht umsonst heißt die Gruppe Create.Act.Enjoy.

 

Diana Buluga: Wir passen uns an das Publikum an, versuchen aber gleichzeitig auch die Zuschauer in das Geschehen mit einzubeziehen. Je nach Publikum, bieten wir verschiedene Spielarten an. Im Krankenhaus haben wir zum Beispiel mit Personen ländlicher Herkunft zusammengearbeitet, die zum ersten Mal mit dem Theater in Kontakt kamen. Der Bedarf nach einer kräftigeren Ausdrucksweise war selbstverständlich. Deshalb haben wir Pantomime, Clownerie und Commedia dell'Arte eingesetzt.

 

Seit 2015 hat Create.Act.Enjoy eine fixe Spielstätte. The Box ist ein Studiosaal, in dem Performance gezeigt wird: Meiner Meinung nach fehlt es an mutigen, experimentellen Produktionen, sowohl aus der Sicht des Zuschauers als auch der des Künstlers. Ich habe den Eindruck, dass das Klausenburger Publikum zu konservativ ist. Es lässt sich sehr schwer aus seiner Komfortzone herausholen.

 

Seit 2013 ist Diana Buluga auch Schauspielerin des Klausenburger Nationaltheaters. Ihre Generation urteilt nicht durch Exklusion und ist infolgedessen sowohl in der unabhängigen Szene als auch an staatlichen Theatern beschäftigt. Die Vorbereitungen des letzten Jahrzehnts, wie die Bereitschaft der Theaterhäuser zu einer projektbezogenen Zusammenarbeit mit den Absolventen, kommen nun der jungen Generation zugute.

 

Kettenreaktion

Die Neuankömmlinge der unabhängigen Theaterszene sind der Verein Reciproca (Asociația Reciproca) und Kreations- und Versuchsreaktor (Reactor de creație și experiment). Beide wurden im Frühjahr 2014 von Absolventen der FTT ins Leben gerufen. Eine enge Beziehung verbindet die zwei Schwesterstrukturen, denn sie gehören zur selben unabhängigen Szene und arbeiten an gemeinsamen Projekten.

 

Oana Mardare und Doru Taloș sind zugleich Schauspieler und Geschäftsführer des  Kreations- und Versuchsreaktors. Nach ihrer Promotion 2009 haben sie fünf Jahre in Spanien verbracht. 2014 beschlossen sie, nach Rumänien zurückzukehren und den Reaktor zu gründen. Ziel ist es, der unabhängigen Klausenburger Szene ein Studio und gute Arbeitsbedingungen für Schauspieler zu bieten. Mardare und Taloș haben sich gewünscht, jungen Schauspielern und Regisseuren, die kaum eine Möglichkeit hatten in Klausenburg zu arbeiten, eine Chance zu geben. Reaktor befindet sich im Stadtzentrum und verfügt über ein Studio, das in einer alten Druckerei eingerichtet ist, aber auch über kleinere Räumlichkeiten für Ateliers und Ausstellungen im Obergeschoss.

 

Doru Taloș: Wir haben uns gewünscht, dass der Raum eine eigene Identität entwickelt. Wir wollten nicht, dass nur eine Theatergruppe mit dem Studio identifiziert wird, dass nur bestimmte Künstler vorgestellt werden. Im Gegenteil, die Spielstätte sollte für zahlreiche Kunstschaffende zur Verfügung stehen. Deshalb haben wir am Anfang keine Auswahlkriterien gesetzt. Im Laufe der Zeit hat das Studio seine eigenen Kriterien geschaffen. Die Künstler kommen und besichtigen die Spielstätte. Sie kennen die finanziellen Bedingungen und Einschränkungen: Man kann nur mit drei bis vier Schauspielern arbeiten, weil man weitere nicht bezahlen kann. Wir haben kein Budget für Bühnenbildner. So muss man sich an einfachen Lösungen orientieren.

 

Oana Mardare:  Es gab keine Stil- oder Genresvorschreibungen, weil wir das Universum der verschiedenen Künstler nicht einschränken wollten. So entstanden sozialkritische Produktionen wie 9 von 10, aber auch Geflüsterte Worte von Turandot. Jetzt beginnen wir Kriterien zu setzen und Bedingungen zu stellen. Wir möchten das Gefühl haben, dass eine Idee eindeutig ist, dass es einen strukturierten, stimmigen Vorschlag gibt. Das Thema muss nicht sozial-politisch relevant, dafür aber künstlerisch wichtig und realisierbar sein. Davon ausgehend gibt es Projekte von größerer Priorität und andere, die in der Warteschlange bleiben, bis sie umgesetzt werden können. Es war ein glücklicher Zufall, dass wir für die ersten Projekte keine Kriterien benötigt haben. Unserer Meinung nach handelte es sich zu dem Zeitpunkt um aktuelle Themen. Poker, In 4D, 9 von 10, Vorläufig (Provizoriu) - diese Projekte sind aus Gesprächen mit Menschen entstanden.

 

Sechs Programmtypen bzw. Aktivitätsplattformen werden in der Spielstätte geboten. Minireaktor schlägt Kinderinszenierungen vor. Der soziale Reaktor wurde durch das Projekt Im Rampenlicht (Sub Reflector) ins Leben gerufen und ist Laienschauspielern gewidmet. Diese zählten dann zum Publikum des Reaktors, dessen Spielplan schon aus acht Produktionen besteht. Der Professionelle Reaktor organisiert Workshops für Profis aus allen Bereichen der Bühnenkunst. Sound Reaktor schlägt Konzerte vor. Happening Reaktor stellt Ereignisse aus der bildenden Kunst, Gedichtvorträge und Filmprojektionen zusammen. Die Besonderheit der Spielstätte liegt in der Zusammenarbeit von Künstlern aus verschiedenen Bereichen und Generationen auf allen sechs Plattformen. Das Ergebnis ist meistens eine Koproduktion (Poker und 9 von 10 sind Koproduktionen mit dem Verein Reciproca).

 

Oana Mardare: Ein weiteres Prinzip war die Idee der Vielfalt. Obwohl wir ursprünglich Theater machen wollten, sind wir mit Leuten in Kontakt gekommen, die andere Interessen hatten, die einen Raum brauchten. So haben sie unser Studio für Ausstellungen,  Konzerte usw. benutzt. Unser Prinzip lautet: Keine Vorschläge ablehnen, alle Möglichkeiten erforschen.

 

In den fünf Jahren, die Mardare und Taloș in Spanien verbrachten, sammelten sie viel Erfahrung. Sie sahen sich mit ihren beiden Produktionen mit dem Problem der kulturellen und sozialen Ausgrenzung in dem vorhandenen geschlossenen Netzwerk von unabhängigen Theatern konfrontiert. Der Mangel an Spielräumen und die ständig wachsende Anzahl von jungen Künstlern in Rumänien sowie der Erfolg der Pinselfabrik in Klausenburg, haben Mardare und Taloș bestätigt, dass ihre Rückkehr in das Heimatland der richtige Schritt war. Durch die Gründung des Reaktors konnten sie ihre Ziele leichter erreichen. In der Rekordzeit von einem Jahr ist Reaktor zu einem wichtigen Teil des Netzwerks der Unabhängigen in Klausenburg geworden.

 

Oana Mardare: Uns wurde bestätigt, dass wir uns nun in einer offenen Umgebung befinden. Anlässlich der Eröffnung des Reaktors haben wir ein Treffen der Unabhängigen organisiert. Daran haben verschiedene Künstlervermittler, die Mädels von der Pinselfabrik, von Váróterem, von Create.Act.Enjoy und kleinere NGOs teilgenommen. Uns ist klargeworden, dass wir eine überschaubare Gemeinde bilden. Wegen ihrer kleinen Dimension hat man ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Es gibt viel gegenseitige Unterstützung. Die Mädels der Pinselfabrik haben uns viel beigebracht. Sie hatten uns gegenüber von Anfang an eine offene Einstellung und betreuen uns noch immer. Ich finde dieses Beispiel sehr wichtig.

 

Das Netzwerk der Unabhängigen in Klausenburg ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. 2014 war Reaktor Gastgeber einiger Vorstellungen des Temps d’Images Festivals und bewies damit, dass das Teilen von Ressourcen möglich ist. Die bei Reaktor aktiven Künstler beteiligen sich auch an Projekten der Fabrik. So sind zum Beispiel Oana Mardare und Doru Taloș in der Besetzung von Ghinga, einer Koproduktion des Verbandes Reciproca und der Pinselfabrik, wiederzufinden. Um eine Überschreitung des Budgets zu vermeiden, greift man zu Koproduktionen mehrerer unabhängiger Theatergruppen.

 

Oana Mardare: Für mich ist die Bewegung in Klausenburg einzigartig. Sie ist klein und entsprang derselben Bildungsstätte. Für alle gelten gemeinsame Parameter. In Bukarest kommen die Künstler aus verschiedenen Bildungsstätten zusammen, sie haben unterschiedliche Ansichten und arbeiten in einem größeren Umfeld. Die Bewegung ist komplexer, hat aber nicht den Klausenburger Charme. Obwohl die unabhängige Klausenburger Theaterszene Arbeitsplätze, Produzenten und Spielräume bietet, benötigt sie weiterhin ein günstiges Umfeld, einen Status in der Gesellschaft, die Anerkennung der Behörden, die die Produktionen finanziell unterstützen und somit ermöglichen.

 

Doru Taloş: 2015, als Klausenburg Europäische Jugendhauptstadt war, hatten wir mit Sicherheit Glück, denn es gab mehr Geld als in den Vorjahren und das Rathaus zeigte mehr Interesse an einer Zusammenarbeit. Wir haben es geschafft, ein paar Projekte von bis zu 10.000 Lei (das sind ca. 2.300 Euro, Anm. d. Ü.) zu gewinnen. Außerdem haben wir mit der Share Stiftung zusammengearbeitet und eine Produktion in Remaru gezeigt (Remarul 16 Februarie ist eine Fabrik, in der Waggons hergestellt werden, Anm. d. U.). Durch das Projekt Com'On Cluj hoffen wir ein paar kleinere Projekte finanzieren zu können, wie die Sommerschule, Kinderinszenierungen im Stadtpark und Theaterproduktionen für Gymnasiasten ab Herbst.

 

Die breite Aktivitätenpalette des Reaktors bildet die finanzielle Grundlage von Workshops für junge Laien und Kinder. Vorrangig bleibt aber die Zusammenarbeit mit Absolventen, mit Theatergruppen und neu gegründeten Verbänden sowie mit anderen unabhängigen Strukturen (Váróterem, die Pinselfabrik, der Verein Reciproca). Reaktor hat von der Erfahrung und der Zusammenarbeit mit den unabhängigen Kollegen profitiert. Das durch Koproduktionen erweiterte, breitgefächerte Repertoire hat ein Publikum angezogen, das die Regelmäßigkeit eines monatlichen Spielplans zu schätzen weiß und für neue Ästhetik offen ist.

 

Oana Mardare: Wir wollen das Prinzip der Zusammenarbeit mit Absolventen beibehalten. Gleichzeitig haben wir uns die Frage gestellt, ob Reaktor ein junger Raum nur während unserer Jugend sein wird oder ob wir uns im Laufe der Zeit entwickeln und somit von der jungen Generation entfernen werden. Beide Szenarien sind möglich.  Selbstverständlich wollen wir Projekte entwickeln, die immer besser werden. Das Wesentliche ist aber, dass es eine Spielstätte bleibt, die den Jugendlichen viele Möglichkeiten bietet. Wir verfolgen mit Aufmerksamkeit die Entwicklung der Absolventen und planen ein Artist-In-Residence-Projekt namens Fresh Start, das die Zusammenkunft von Schauspielern, Regisseuren und Dramatikern ermöglichen soll. 2015 haben wir dafür keine Finanzierung vom AFCN bekommen, aber wir werden es nächstes Jahr wieder versuchen.

 

Absolventen des FTT, FSPAC (Fakultät für Politik-, Verwaltungs- und Kommunikationswissenschaften) und UAT Târgu Mureş (Lorand Maxim, Leta Popescu, Lucia Mărneanu und Radu Bogdan bzw. Oana Hodade) bilden den Verein Reciproca. Dieser gewann an Aufmerksamkeit durch Koproduktionen mit der Pinselfabrik (Ghinga), dem Reaktor (Poker und 9 von 10) oder mit anderen unabhängigen Organisationen, insbesondere aber durch Parallel, eine Performance, für die 2014 zwei der Gründerinnen des Vereins Reciproca den UNITER-Debüt-Preis erhielten. Die Regisseurin Leta Popescu hat im Rahmen des Reciproca-Projektes Von Prosa zur Inszenierung drei Produktionen kreiert. Dabei deckte sich das Projektthema mit dem ihrer Masterarbeit.

 

Leta Popescu: Ich habe mir vorgenommen, mich im Rahmen des Master Studiums zwei Jahre lang auf die rumänische zeitgenössische Prosa zu konzentrieren. Das ist mir bis jetzt gelungen. Die einzige Ausnahme bildet American Dream von Nicoleta Esinescu, die im Juni 2015 Premiere am Nationaltheater in Klausenburg feierte. Ghinga und Poker sind Dramatisierungen von Texten von Dan Coman bzw. Bogdan Coșa. Auch am Nationaltheater in Craiova werde ich, zusammen mit Oana Hodade, einige Erzählungen aus Florin Lăzărescus Band Die Lampe mit Mütze dramatisieren. Vielleicht ist das bestimmend für meinen bisherigen Berufspfad. Ich mag es, mit Dramatikern zusammenzuarbeiten, zu schreiben, sowohl als "écriture du plateau" als auch zu Hause... Einige Themen aus Ghinga verfolgen mich. Diese werde ich weiterentwickeln. In der Inszenierung in Craiova interessiert mich zum Beispiel die ländliche Umgebung. In Ende begegnen wir Menschen, die am Land aufgewachsen und im Laufe der Zeit in die Stadt umgezogen sind. Mich interessiert ihre jetzige Einstellung dem ländlichen Universum gegenüber. Es ist ein Thema, dass mir sehr nahe liegt. Soviel ich weiß, ist Florin Lăzărescu auch in einem Dorf, in der Nähe von Vaslui, aufgewachsen, genau wie ich. Größtenteils verstehe ich, was in der Gegend passiert. Deshalb habe ich dieses Thema gewählt, um es näher zu untersuchen. Es ist unentbehrlich, dass ich genau verstehe, was dort passiert. Der Entstehungsvorgang einer Inszenierung ist jedes Mal ein anderer.

 

Ich brauche eine Idee, von der ich dann zu entwickeln beginne. Meistens von heute auf morgen. Für die Produktion in Craiova zum Beispiel bin ich noch am Überlegen. Für mich hat der Beruf des Regisseurs keinen Anfang und kein Ende, und ist deshalb ein bisschen anstrengend. Man ist immer beschäftigt. Der Beruf fordert, dass man überall und immer aufpassen soll. Man notiert sich ständig Sachen, immer wenn man eine Idee hat. Es ist aber nicht eine durchgeplante Aktivität mit einem Notizbuch. Es ist eine Art Wache halten. Ich glaube aber, dass wir alle das in irgendeiner Form machen.

 

Dieser Zustand des Wache-Haltens widerspiegelt sich nicht nur in der Thematik der Inszenierungen, sondern drückt sich auch in den Projekten des Verbandes aus, eine Beziehung zwischen Gesellschaft und Kunst aufzubauen. Die Videoreihe Grüße aus Rumänien beschäftigt sich mit Störungsfällen in Instituten und dem Missbrauch der Behörden an seinen Bürgern: dem Status ortsansässiger Ärzte, der Korruption in den Medien und im Unterrichtswesen, der Schuldvertuschung internationaler Unternehmen, dem "Faustschlag" des Staates gegen den Bürger. Die Kunst dient der Gestaltung des Bürgergeistes, als Ausdruck des Glaubens dieser Generation an die Rolle des gesellschaftlich engagierten Künstlers.

 

Das größte Projekt des Vereins Reciproca ist Focus Atelier, ein Monat von Workshops und Debatten im Reaktor, der Pinselfabrik, im UAD und der Schneiderbastei (im Rathaus). Das Thema der ersten Ausgabe (2015) war die Kunst-Gesellschaft-Dynamik. März 2016 folgt die zweite Auflage mit Fokus auf Erziehung. Focus Atelier ist aber auch ein Beweis der Mobilität und Kommunikation zwischen den Künstlern der unabhängigen Szene: Sie sind an verschiedenen Projekten beteiligt, sorgen für Stimmigkeit und für eine starke Bindung zwischen den Theatergruppen.

 

Die Einzelgänger

Weitere Initiativen werden von freischaffenden Künstlern, insbesondere von Regisseuren, die mit keiner Gruppierung assoziiert sind, unternommen. Ihr Hauptmerkmal besteht darin, dass sie sich bekannten künstlerischen Leitern anschließen. Durch ihr ästhetisches Programm untersuchen sie das Verhältnis zwischen klassischer Dramatik und Regie. Es sind Regisseure, die stark an die Rückkehr des "Meisters" glauben. Für sie ist die unabhängige Szene nur ein Lebensabschnitt auf dem Weg zu den Staatstheatern.

 

Mihaela Panaintes Art Theater zu machen ist atypisch. 2009 bis 2014 leitete sie die NGO Grupa Mică in der Sala Mică der Pinselfabrik. Panainte hat Gesang und Musiktheaterregie an der Klausenburger Musikakademie studiert. Ihr Interesse für Sprechtheaterregie wurde erst durch ihre Tätigkeit als Regieassistentin bei Silviu Purcărete (Gianni Schicchi, 2009) geweckt. Es wurde mir bewusst, dass ich mehr Zeit, einerseits für die Produktion, andererseits für Übungen, brauche, sagt die Regisseurin. Ihr Interesse gilt vor allem den Texten von Eugène Ionesco. Gleich drei seiner Stücke hat Panainte in Szene gesetzt: Delirium in zwei, in drei... in wie viele du willst (bei Sala Mică), Die Stühle (in der Stuhlfabrik Antares, mit einem Taubstummen in der Rolle des Redners) und Der neue Mieter (im Stadttheater Baia Mare).

 

Mihaela Panainte: Mein erstes Projekt war Delirium in zwei, in drei... in wie viele du willst. In der Sala Mică habe ich andere Regisseure getroffen. Danach haben wir an weiteren Projekten zusammengearbeitet. Der experimentelle Raum hat mich eine Zeit lang angespornt. Irgendwann hatte ich aber das Gefühl, in einer schwarzen Kiste eingeschlossen zu sein. Das war so ein Punkt, an dem ich mich eingeschränkt fühlte. Daher bin ich weggegangen.

 

2014 folgte Medio Monte, eine Sound-Performance in der Malersiedlung in Baia Mare und Iona von Marin Sorescu, eine Produktion, die auf dem unterirdischem See der Salzmine in Turda gezeigt wurde. Beide spiegeln den Wunsch der Regisseurin, alternative Spielräume und Musik im Sprechtheater zu erforschen, wider.

 

Mihaela Panainte: Ich bin 33 Jahre alt geworden. Vor zehn Jahren, als ich mit Regie angefangen habe, dachte ich, dass man die Dinge strikt voneinander trennen soll. Inzwischen ist es mir nicht mehr so wichtig, nur in der unabhängigen Szene oder in Staatstheatern zu arbeiten. Beide sind für mich jetzt möglich. Das Wichtigste ist, die Projekte gut zu Ende zu bringen. Durch den Unabhängigkeitsstatus werden leider viele Ressourcen verbraucht. Für eigene Recherchen bleibt so gut wie keine Zeit oder Energie übrig. Deshalb habe ich angefangen, mit den Staatstheatern zusammenzuarbeiten. Außerdem kann der Künstler in Rumänien nicht außerhalb des staatlichen Systems leben. Die Unterstützung der Direktoren ist notwendig, um voranzukommen und insbesondere, um mehr Zeit für die eigene Arbeit zu haben.

 

Mihaela Panainte wird in der Theatersaison 2015/16 am Ungarischen Staatstheater Das Buch der Alten inszenieren. Die Produktion basiert auf dem gleichnamigen Gedicht von Szilagyi Domoks. 2012 hat Panainte denselben Text im Rahmen einer Installation, mit Zeichnungen von Plugor Sandor, in der Sala Mică gezeigt.

 

Alexandru Gherman ist ebenfalls ein freischaffender Regisseur. Er hat Matei Vişniecs Engagement für einen Clown mit einer ausschließlich weiblichen rumänisch-ungarischen Besetzung produziert. 2015 wird Schwester Beatrice von Maurice Maeterlinck in seiner Regie in einer Kirche in Klausenburg zweisprachig (rumänisch-ungarisch) uraufgeführt.

 

Die ungarischen Theatergruppen

Zu den Besonderheiten der multikulturellen Stadt Klausenburg zählt die Kommunikation zwischen den rumänischen und ungarischen unabhängigen Theatergruppen. Ihre Zusammenarbeit spiegelt sich in gemischten Besetzungen wider (einige Produktionen werden in rumänischer Sprache gespielt und auf Ungarisch übertitelt oder umgekehrt). Auf diese Weise wird auch ein zweisprachiges Publikum angelockt. Manche Absolventen der rumänischen bzw. der ungarischen Studienrichtungen der FTT nützen die Übertitelungskampagne des Ungarischen Staatstheaters aus, um sich unabhängigen Projekten anzuschließen. So ist ein gemischtes rumänisch-ungarisches Publikum entstanden.

 

GroundFloorGroup ist der Pionier der ungarischen Theatergruppen. Sein Interesse liegt im Bewegungstheater und in der Performance. Seit 2009 ist die Gruppe in der Pinselfabrik aktiv. Sie hat sieben Ausgaben des Festivals TRANS-CONTACT sowie zahlreiche Workshops und Bewegungskurse für Profis – zu denen Gastlehrer aus dem In- und Ausland, hauptsächlich aus Ungarn, eingeladen wurden – organisiert. GroundFloorGroup hat in Rumänien die Technik des "Improvisationskontaktes" eingeführt. Zu ihren Erfolgen zählen auch mehrere Performances wie Divas, post.sync, Zehn Studien über die Liebe mit kleinem L, Parallel. Ihre Produktionen unterstreichen das Interesse für einen multidisziplinären Ansatz der darstellenden Künste und für das Zusammenbringen mehrerer AusdrucksformenTheater und Tanz, Musik und Videokunst – in einer eigenen Theatersprache (http://www.groundfloor.ro/en/).

 

Die bisher bemerkenswerteste Klausenburger Performance ist Parallel, eine Produktion des Duos Kelemen Kinga (Manager von GroundFloorGroup) und Sinko Ferenc (Regisseur und Choreograph). Sinko ist Schauspieler des ungarischen Staatstheaters. 2015 hat er #Schwanengesang, die wahrscheinlich radikalste Aufführung der Theatersaison, in Szene gesetzt. Die Produktion zeugt von seiner Beschäftigung mit der Dekonstruktion der Theaterkonvention und dem Status des Schauspielers in der Gesellschaft.

 

Váróterem Projekt (Der Wartesaal) ist eine NGO, die 2010 von gleichaltrigen Schauspielabsolventen der ungarischen Abteilung der FTT gegründet wurde. Ihre Produktionen wurden in zahlreichen Räumlichkeiten gezeigt: in der Pinselfabrik, in Gymnasien und in weiteren unkonventionellen Spielstätten. 2014 eröffnet die Gruppe ZUG.zone als Spielraum für Freischaffende aus den Gebieten der Musik und bildenden Künste. ZUG bietet Bedingungen für neue Initiativen, für Theater-, Musik- und Filmprojekte. Im neuen Klausenburger Kulturzentrum finden verschiedene Programme für ein Publikum unterschiedlichen Alters statt.

 

Das Netzwerk der Unabhängigen

Alle Klausenburger Freischaffenden sind, unabhängig von ihrer Organisationsform, sei es in Gruppen, Verbänden oder Zentren für zeitgenössische Kunst, bestrebt, an einer Annäherung der darstellenden Künste an die Gesellschaft, der Erforschung von bürgerlichen Theaterformen und dem Gewinn von neuem Publikum, mitzuwirken. Deswegen steht das Soziale und nicht die Ästhetik im Vordergrund. Der Regisseur-Autor fügt sich im Team ein, beide teilen sich damit die Verantwortung für die Produktion. Die Teams haben unterschiedliche Profile. Sie werden nur für ein Projekt oder rund um eine NGO gebildet. Genau aus diesem Grund bietet Klausenburg mehrere Vorteile gegenüber anderen Städten. Es ist nicht leicht die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. Allerdings gibt es in der unabhängigen Szene viele neue Ideen.

 

Leta Popescu: Mich beruhigt, dass der Regisseur nicht die ganze Verantwortung tragen muss. Das verleiht mir Freiheit. Wir sind schlicht und einfach eine Gruppe, in der ich Vorschläge mache und Entscheidungen treffe, weil ich den Überblick habe, und nicht weil ich besser als die anderen bin. Alle teilen mit mir die Verantwortung für die Produktion. Zu Beginn haben die Mädels aus 9 von 10 ihre eigenen Erfahrungen und Ideen eingebracht. Das war eines der besten Beispiele für das "Verschwinden der bestimmenden Position des Regisseurs".

 

In den letzten sechs Jahren hat die unabhängige Bewegung in Klausenburg ein treues Publikum, aber auch das Interesse der Staatstheater und der Universität (FTT), gewonnen. So wurden Projekte für junge Regisseure und Dramatiker zur Erneuerung des Repertoires geschafft (z.B. 5 Produktionen, 5 Regisseure am Nationaltheater).

 

Andererseits haben die letzten drei Jahre gezeigt, dass Schauspieler der unabhängigen Szene bereit sind, auch in staatlichen Institutionen zu arbeiten. Die psychologische Trennung zwischen den beiden ist nicht mehr endgültig. So hat zum Beispiel Leta Popescu 2015 am Nationaltheater im Rahmen des Projektes 5 Produktionen, 5 Regisseure gearbeitet. Des Öfteren sind die am Nationaltheater fix angestellten Schauspieler (z.B. Diana Buluga) auch in der unabhängigen Szene – wo sie neue ästhetische Wege ausprobieren können – aktiv.

 

Miki Branişte: Tatsächlich gibt es eine Lücke zwischen Absolventen, die in mehreren unabhängigen Bereichen arbeiten und damit die Risiken eingehen wollen, und denjenigen, die einen sicheren Bereich bevorzugen. Mein Ratschlag an beide Gruppierungen ist, dass sie die zwei Richtungen nicht getrennt betrachten, sondern die Art von Koproduktionen, von denen wir vorher gesprochen haben, umsetzen sollen. Denn die Staatstheater brauchen eine neue Generation, die frischen Wind hineinbringen kann. Gleichzeitig benötigen junge Schauspieler Spielstätten mit mehreren Ressourcen. Ich glaube, dass dies eine "glückliche Ehe" werden kann. Ich finde es nicht vorteilhaft, den Kontakt zu den Staatstheatern auszuschließen. In diesen Institutionen kann man auch Interessantes erleben. Die künstlerische Leitung trägt zur Qualität der Produktion bei. Schlechte Produktionen kann es auch bei den Unabhängigen geben. Ich habe genug davon gesehen. Nicht der Unabhängigkeitsstatus verschafft einem Achtung. Es geht darum, wie man die eigenen kreativen Ressourcen auf beiden Szenen am besten einsetzt. Man könnte behaupten, dass die großen Ressourcen in den Staatstheatern bessere Chancen für gute Produktionen schaffen. Das ist nicht immer der Fall. Eine Begegnung zwischen dem unabhängigen und dem staatlichen Bereich  könnte für beide Seiten von Vorteil sein.

 

In Klausenburg wurden junge Künstler auf der Suche nach Spielstätten für Ihre Darstellungsweise mehr oder weniger zur Unabhängigkeit gezwungen. Im letzten Jahrzehnt haben es die unabhängigen Strukturen geschafft, ein Netzwerk in der Stadt zu gründen. Es ist den neuen Absolventen überlassen, Platz in einem schon "bestehenden Knoten" des Netzwerkes zu nehmen oder eine neue Gruppe zu gründen. Es gibt keine Traumbedingungen: Die staatliche Unterstützung ist weiterhin minimal, die lokalen Behörden sind nur an einzelnen Projekten mit kleinen Budgets interessiert. Es fehlt die Strategie zur Unterstützung der unabhängigen Szene. Jedoch sind die darstellenden Künste in diesen Jahren einen unumkehrbaren Weg gegangen. Einer beachtlichen Anzahl von motivierten Jugendlichen, die weiterhin in Rumänien arbeiten wollten, ist der Durchbruch gelungen. Und ihre Zahl wird mit jeder neuen Generation von Absolventen, die landesweit die Veränderung der Mentalitäten und der kulturellen Strategien erzwingen, immer größer.

 

aus dem Rumänischen von Raluca Piteiu

Lektorat von Irina Wolf

 (September 2015)